Urban Mobility
Passagierdrohnen: Ready for take off
Kein Stau, keine Ampeln, keine Umwege, dafür eine atemberaubende Aussicht: Fluggleiter mit elektrischer Power oder Wasserstoff für die Kurzstrecke ergänzen individuelle Mobilität um eine 3. Dimension. Foto: © Volocopter
Passagierdrohnen gehören bislang fest zum Special-Effects-Repertoire vieler Science-Fiction-Filme. Doch die Kreativen müssen sich bald etwas Neues einfallen lassen. Weltweit ist ein Wettlauf um das erste serienfähige Flugobjekt für die Kurzstrecke im Gange. Der Pioniergeist erinnert an die Zeit vor über 100 Jahren. Damals unternahmen Otto Lilienthal, die Gebrüder Wright und andere Erfinder erste Flugversuche auf holprigen Feldern und Wiesen. Von vielen wurden sie nur belächelt. Zu visionär schien um 1900 die Vorstellung vom Fliegen. Dauerten die ersten erfolgreichen Flüge der Wright-Maschine im Dezember 1903 nur wenige Sekunden, blieben die Nachfolger fünf Jahre später bis zu zwei Stunden in der Luft. Im Sommer 1909 überquerte der Franzose Louis Blériot erstmals den Ärmelkanal von Calais nach Dover. In 100 Meter Flughöhe. Heute ist das Fliegen zwischen Städten, Länder und Kontinenten ganz selbstverständlich.
Nun steht auch der urbane Verkehr vor einer kleinen Revolution. Weil insbesondere die Megacities an die Grenzen ihrer Infrastruktur stoßen, schlägt die individuelle Mobilität der Zukunft eine neue Richtung ein: gen Himmel. Flugtaxis können konventionelle Fahrdienste ergänzen und eine neue Dimension der Mobilität wie Zubringerdienste zu Mobilitätshubs und Airports schaffen. Mit unterschiedlichen Ansätzen konkurrieren Entwickler auf der ganzen Welt. Weltweit gibt es über 100 Flugtaxi-Projekte. Viele dieser Konzepte sind weniger vom Auto inspiriert als von Helikoptern und Drohnen. Unternehmen arbeiten zwar an Hybriden, die auf der Straße fahren und Flügel zum Fliegen ausfalten können. Die aktuell vielversprechenden Prototypen setzen jedoch auf Rotoren und VTOL. Die Abkürzung steht für „Vertical Take-Off and Landing“. Der Vorteil: Wo Flugzeuge lange Start- und Landebahnen zum Abheben benötigen, können Drohnen nahezu überall senkrecht auf- und absteigen – auf Hochhausdächern, Parkplätzen oder direkt neben Kreuzungen. 100 Quadratmeter Fläche reichen aus.
Emissionsfrei und autonom
Was die Konzepte eint: Sie nutzen Elektro-Motoren für eine leise und emissionsfreie Mobilität. Das macht sie leichter und kleiner als Helikopter – ganz zu schweigen von der Handhabung und technischen Komplexität. Während bei den ersten Flugtaxis zunächst noch Piloten mit an Bord sein werden, dürfte relativ schnell der Computer übernehmen. Passagiere können einfach einsteigen, das Ziel per App oder Sprachassistent angeben und schon geht’s los. Für die Revolution des autonomen Fliegens ist die Luft sogar geeigneter als die Straße. Über den Dächern gibt es weniger komplexe Verkehrssituationen, die eine Software nach und nach lernen muss – unterschiedliche Fortbewegungsmittel, parkende Autos, spielende Kinder am Straßenrand, regionale Regeln oder chaotische Kreuzungen gibt es hier nicht. Allein das Erkennen von und Ausweichen vor anderen Flugobjekten und hohen Häusern muss reibungslos funktionieren. Mehrere Sensoren sowie Kamera- und Radar-Systeme bieten einen Rundumblick, der die nähere Umgebung nach möglichen Hindernissen scannt und bei Gefahr die Richtung ändert. Schon heute beweist der Autopilot in Flugzeugen, dass man ohne menschliche Kontrolle sicher unterwegs ist. Genehmigungen und Zertifizierungstests müssen allerdings noch ausgearbeitet werden. Ein Flugsicherungssystem, das Flugtaxis und traditionellen Luftverkehr überwacht, kann nicht so einfach realisiert werden. Die Bundesluftfahrtbehörde der USA (Federal Aviation Administration, FAA) und Europäische Agentur für Flugsicherheit (European Aviation Safety Agency, EASA) beispielsweise zögern noch.
Marktpotenzial von Passagierdrohnen
Über 900 Millionen US-Dollar flossen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 in die Branche – trotz Pandemie und Krise der Luftfahrtindustrie. Es bleibt spannend, wie sich der Markt 2022 und darüber hinaus entwickelt. Denn die Corona-Pandemie zwingt die Flotten auf den Boden, Flughäfen sind geisterhaft verwaist, der Luftraum leer, Airlines und die Industrie bangen um ihre Existenz. Roland Berger beziffert in einer Studie den Trend weiterhin positiv: So sollen im Jahr 2050 bis zu 160.000 kommerzielle Flugtaxis in der Luft sein und die Industrie Einnahmen in Höhe von fast 90 Milliarden US-Dollar pro Jahr generieren. Die von Passagierdrohnen geflogene Strecke taxieren sie dann auf jährlich 18.800 Millionen Kilometer. Den größten Bedarf sehen die Studienautoren als City-Taxis mit 36 Prozent und als Airport-Shuttle mit 35 Prozent. Doch nicht nur die Hersteller von Flugtaxis werden ein Stück vom Kuchen abbekommen. Rund um die neue Mobilitätsform wächst ein ganzes Ökosystem, das eine Reihe von unterschiedlichen Geschäftsmodellen hervorbringt: etwa den Betrieb von Landeplätzen, Wartung und Reparatur sowie digitale Dienstleistungen rund um den Flug.
In der nahen Zukunft kann die sinnvolle Vernetzung moderner Verkehrssysteme die neuralgischen Knotenpunkte entlasten und die Menschen von Stress, Zeitverlusten und Umweltbelastungen befreien. Das Lufttaxi ist ein Baustein in der Mobilität von morgen.Gregor GrandlSeniorpartner bei Porsche Consulting
Auch Porsche Consulting hat in einer Studie das Potenzial des „Urban Air Mobility“-Marktes untersucht. Bis 2035 gehen die Experten in einer Prognose von 23.000 Flugtaxis für Cityanbindung mit einem Marktwert von 33 Milliarden US-Dollar aus. Und es wurde vorgerechnet: Demnach würde der Flug vom Flughafen München in die Innenstadt per Flugtaxi zehn Minuten dauern. Jeder Fluggast müsste dafür 100 Euro bezahlen. Ein Taxifahrt kostet rund 70 Euro. In Hamburg beträgt die Distanz vom Flughafen zum Jungfernstieg zehn Kilometer Luftlinie. Der Flugpreis würde laut Studie 35 Euro betragen – für die einfache Strecke, die in drei Minuten zurückgelegt wird. Wissenschaftler der Technischen Universität München, Technischen Hochschule Ingolstadt und dem Bauhaus Luftfahrt sind nicht ganz so optimistisch. Eine Machbarkeitsstudie für Bayern kommt zu dem Ergebnis, dass Flugtaxis keinen nennenswerten Einfluss auf das Verkehrsgeschehen haben werden. Bei Strecken kürzer als zehn Kilometer kommen Passagierdrohnen voraussichtlich auf nicht mehr als 0,05 Prozent der täglich zurückgelegten Kilometer. Erst auf längeren Strecken von 40 bis 100 Kilometer konnten Transportanteile von 3 Prozent und mehr erreicht werden. Mehr als ein Nischenmarkt wäre damit nicht zu erwarten. Auch würde kein anderes Verkehrsmittel durch senkrecht startende Fluggeräte ersetzt werden. Für Taxi-ähnliche Ticketpreise müssten die Anbieter eine hohe Auslastung mit Passagierzahlen erreichen und somit eine sehr hohe Anzahl an Sitzplätzen anbieten können. Die Herausforderungen sind aus der traditionellen Luftfahrt bekannt. Doch nicht nur Preis und Technologie entscheiden über den Durchbruch der fliegenden Verkehrsmittel, sondern vor allem das Vertrauen der künftigen Passagiere. Das muss bei der Entwicklung stets im Mittelpunkt stehen.
Eine neue Industrie ist entstanden
Start-ups, aber auch namhafte große Unternehmen arbeiten an Konzepten, erste Testflüge sind bereits erfolgt. Weit vorn dabei bei der Entwicklung neuer Flugauto-Konzepte ist das deutsche Unternehmen Volocopter. Die Form des Fliegers erinnert an einen Helikopter. Er hat Kufen, eine Kabine für zwei Personen und 18 kleinen Rotoren auf einem kreisförmigen Gestänge. Neun Wechselbatterien treiben die Rotoren an. Und da diese akustisch in einem engen Frequenzband liegen, erscheinen sie dem menschlichen Gehör nur etwa doppelt so laut wie ein einzelner Rotor. So ist ein Volocopter in weniger als 100 Meter Entfernung so leise wie ein Mini-Hubschrauber mit Haupt- und Heckrotor sowie Turbine in 500 Metern Entfernung. Mit einer Reichweite von 35 Kilometern pro Strecke könnte er bereits sämtliche Megacities bedienen. Redundante Systeme und hochmoderne Flugassistenten sorgen für Sicherheit. Der Top-Speed liegt bei 110 km/h. Nach über 1.000 Testflügen und fast zehnjähriger Erfahrung gehört der Volocopter zu den ausgereiftesten Flugtaxis der Welt. Die ersten kommerziellen Passagierflüge auf innerstädtischen Strecken sind ab 2022 geplant. Das bayerische Start-up Lilium arbeitet an einer Mischung aus Jet und Drohne mit Platz für fünf Passagiere. Herzstück sind schwenkbare Flügel mit 36 integrierten Düsen. Dadurch soll es möglich sein, senkrecht zu starten und in der Luft die Propellerflügel in die Horizontale zu drehen, sodass der elektrisch betriebene Lilium-Jet wie ein normales Kleinflugzeug wegdüsen kann. Der Fokus liegt allerdings mehr darauf, Städte mit Vororten und Dörfer miteinander zu verbinden.
Goldgräberstimmung: Luftkampf kleiner und großer Player
Mit Airbus und Boeing mischen auch die beiden Luftfahrtriesen mit. Rein elektrisch war das Flugtaxi „Vahana“ unterwegs. Das Projekt endete nach vier Jahren Entwicklung Ende 2019. Jetzt konzentriert sich Airbus auf seinen viersitzigen Multicopter „CityAirbus“ mit einer Kabine wie ein kleiner Hubschrauber und vier auffälligen Ringen darüber, in denen die Rotoren liegen. Konkurrent Boeing entwickelt gemeinsam mit Porsche seit 2019 ein Konzept für ein vollständig elektrisches Fluggerät, das senkrecht starten und landen kann. Mit seinen spitz zulaufenden Tragflächen sieht der Flieger wie das berühmte Batmobil aus. Einige Designelemente erinnern an Porsche-Modelle. Toyota hat Anfang 2020 rund 350 Millionen Euro in das Start-up Joby Aviation investiert. Die Spitzengeschwindigkeit soll bei 320 Kilometern pro Stunde liegen, die Reichweite einer Batterieladung bei 240 Kilometer. Auch der Mobilitätsdienstleister Uber arbeitet mit Hyundai an einer eigenen Lösung. Der Mobilitätsdienstleister sieht das Konzept vor allem als neue Option für Taxi- und Sharing-Services, die sich via App buchen lassen. Die Partner präsentierten auf der CES 2020 das Modell eines Lufttaxis mit Namen „S-A1“.
Bei voraussichtlichen Drohnen-Preisen im sechsstelligen Bereich dürfte die On-Demand-Nutzung tatsächlich den Weg in die Luft ebnen. Hyundai positioniert sich zudem als Systemanbieter: Das Lufttaxi landet auf einem ausfahrbaren Dach eines Mobilitätshubs, der individuell angepasst und in eine beliebige Zahl von Räumen verwandelt werden kann, zum Beispiel als Medizinkomplex mit Klinik, Arztpraxis und Apotheke, bei dem die Patienten mit dem S-A1 direkt beim Doktor landen. Spezielle Fahrzeugsysteme am Boden – sogenannte Purpose Built Vehicles – transportieren Mensch und Waren weiter bzw. zum endgültigen Bestimmungsort. Benchmark für alle Marktteilnehmer ist Ehang aus China. Das Unternehmen gilt als führender Hersteller. Schon Dutzende Modelle vom Typ „Ehang 184“ und „Ehang 216“ wurden produziert und an Kunden ausgeliefert. Tausende Testflüge bemannt wie unbemannt – selbst bei widrigen Wetterbedingungen und nachts – haben der Flotte die Flugtauglichkeit attestiert. In China kommen die Passagierdrohnen für erste Kurierdienste, Brandbekämpfung bei Hochhäusern und demnächst für Touristenflüge zum Einsatz.
Senkrechtstart dank Wasserstoff
Der israelische Flugtaxi-Entwickler Urban Aeronautics will die Brennstoffzellen-Technik in seinem E-Senkrechtstarter CityHawk einsetzen. Diese soll die dreifache Leistung und vierfache Lebensdauer gegenüber herkömmlichen Brennstoffzellen bieten. Dazu ist das Unternehmen eine Kooperation mit dem kalifornischen Start-up HyPoint eingegangen. Ein Prototyp ist bereits im Sommer 2018 geflogen – noch ohne Brennstoffzelle. Der CityHawk hat keine Flügel oder extern montierte Propeller. Stattdessen sind die Propeller vor und hinter der Fahrgastzelle in die Karosserie integriert. Derzeit setzt Urban Aeronautics noch auf einen Hybridantrieb. Der Umstieg auf Brennstoffzellen-Antrieb ist nach Angaben der Entwickler eine Notwendigkeit: Wegen des ungewöhnlichen Designs ist der Energieverbrauch des CityHawk deutlich höher als bei anderen Flugtaxi-Konstruktionen. Die längliche Form liefert zu wenig Auftrieb, was mit mehr Antriebsleistung kompensiert werden muss. Den derzeitigen Lithium-Ionen-Antrieben geht dabei anscheinend (noch) zu früh die Puste aus. Eine Kinderkrankheit, die man zu Beginn auch von Elektroautos kannte.