Urban Mobility
Superblocks für alle!
Weniger Staus, Verkehrslärm und Abgase, mehr Platz und mehr Grün für die Menschen - um die Lebensqualität in der Stadt für alle Anwohner zu verbessern, hat sich Barcelona zu einer ganz besonderen Lösung entschieden: Die Superblocks. Die Idee stammt bereits aus den 1980er-Jahren und ist simpel: Bis zu neun Häuserblöcke werden zusammengefasst zu einem Superblock. Innerhalb dieses Superblocks haben Fußgänger und Radfahrer Vorrang, der motorisierte Verkehr wird beschränkt auf Anwohner, Lieferverkehr und natürlich Rettungsfahrten. Alle Straßen im Superblock werden zu Einbahnstraßen, die Geschwindigkeit ist (außer für Rettungsfahrzeuge) auf 10 bis 20 Km/h begrenzt, bei bisher zweispurigen Straßen wird den Autos eine Spur genommen, die nun Fußgänger und Fahrräder nutzen können. An jeder Kreuzung im Superblock müssen die Fahrzeuge abbiegen - so wird der Durchgangsverkehr in den Straßen eines Superblocks effektiv vermieden. Der Radverkehr ist im Superblock hingegen in alle Richtungen frei, Radfahrer können die Superblocks ohne Einschränkungen durchqueren. Der fließende Verkehr und öffentlicher Nahverkehr zirkulieren auf den größeren Straßen um die Superblocks herum.
Nach ersten Versuchen bereits ab dem Jahr 1993 begann Barcelona im Jahr 2017 im Viertel Poble Nou damit, das Konzept der Superblocks konsequent umzusetzen. Anfangs gab es große Widerstände von Autofahrern und Geschäftsleuten, und auch die Anwohner waren nicht alle begeistert. Doch nach Anfangsschwierigkeiten und Anpassungen hat sich die Idee in Barcelona zu einem echten Erfolgsmodell entwickelt, und es entstehen immer mehr Superblocks in der Stadt. Ganze 503 sollen es insgesamt mal werden, so der ambitionierte Plan für nachhaltige Mobilität der Stadtverwaltung.
Auf katalanisch heißen die Superblock „Superilles“, doch mittlerweile kommen viele weitere Namen für dieses Konzept dazu. Denn die Idee funktioniert in Barcelona überzeugend gut und lässt sich relativ unproblematisch auf andere Städte übertragen. In den letzten beiden Jahren haben über 250 Stadtverwaltungen in Barcelona um Informationen zur Umsetzung gebeten, berichtet Barcelonas Stadtverwaltung, nicht ohne Stolz. Auf dem C40-Gipfel der Bürgermeister der größten Metropolen der Welt hat Barcelona im Oktober 2022 ausführlich das Konzept der Superblocks präsentiert. Mehrere Städte folgen Barcelonas Beispiel bereits, wie die Stadtverwaltung von Barcelona berichtet: Wien startete im Jahr 2022 den ersten „Suprgrätzl“, in Los Angeles werden „Park Blocks“ in der Stadtverwaltung diskutiert, in Bogota wurden die ersten vier „Barrios Vitales“ umgesetzt, in Rotterdam entsteht der „Superbloc Oude Westen“, in Berlin sind 64 „Kiezblocks“ entweder schon beschlossen, oder es laufen derzeit Initiativen und Planungen. Auch in Darmstadt, Leipzig, München oder Stuttgart gibt es Projekte. bereits umgesetzt wurden Superblocks in den chinesischen Städten Xi'an und Nanjing, in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires oder Ecuadors Hauptstadt Quito wurden bereits Superblocks umgesetzt - teilweise nicht so groß wie in Barcelona, aber genau diese Skalierbarkeit macht das stadtplanerische Konzept so attraktiv.
Was bringt ein Superblock?
Das sich die Idee der Superblocks weltweit so schnell verbreitet, spricht erstmal dafür, wie gut umsetzbar sie ist, auch in anderen Städten. Denn anstatt eine ganze Stadt umzukrempeln oder einzelne Konzepte für Radverkehr, Fußgänger oder öffentlichen Nahverkehr mühsam und (zeit-)aufwändig über das ganze Stadtgebiet hinweg umzusetzen, lassen sich die Superblocks in vielen kleinen Schritten umsetzen. Jeder Superblock funktioniert erstmal für sich allein - und kann dann auch als gutes Beispiel Argumente liefern. Das war auch in Barcelona nötig, um Widerstände und Befürchtungen mit Argumenten zu entkräften.
Denn Anfangs gab es deutliche Widerstände, nicht nur von Autofahrern und Geschäftsleuten, sondern auch von Anwohnern. Der Grund: Die Stadt hatte es versäumt, die frei gewordenen Verkehrsflächen umzugestalten und zu nutzen. Die Stadt hat daraus gelernt und wandelt nun ehemalige Verkehrsflächen konsequent in Spielplätze um, sorgt für viel Grün und stellt Sitzgelegenheiten für die Anwohner auf. Dieses Angebot nimmt die Bevölkerung gern an, heute ist der öffentliche Raum in den Superblocks deutlich belebter als in anderen Vierteln.
Mittlerweile liefern die Superblocks in Barcelona viele gute Argumente. Die Stadtverwaltung hat im erstem Superblock Poble Nou seit der Gründung im Jahr 2017 die Auswirkungen für die Anwohner ausführlich beobachtet und an Zahlen belegt. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO und andere Institute haben die positiven Auswirkungen der Superblock untersucht. Einige der Ergebnisse:
- die Lebenserwartung der Anwohner eines Superblocks ist um rund 200 Tage gestiegen (laut Studie des Gesundheitsinstituts BCNecologia Barcelona)
- Superblocks tragen zu Krankheitsprävention, sozialem Wohlbefinden und der Bekämpfung von globaler Erwärmung bei (laut WHO)
- der öffentlich nutzbare Raum hat sich verdoppelt (in Poble Nou)
- der motorisierte Verkehr hat sich mehr als halbiert, von 2218 auf 932 Fahrten pro Tag
- die von Autos belegte Fläche ist 48 Prozent kleiner geworden
- die Flächen für Fußgänger haben sich um 80 Prozent vergrößert
- die Grünflächen haben sich fast verdoppelt
- die Zahl der Geschäfte ist um 30 gestiegen, von 65 auf 85
- Verkehrsunfälle finden fast keine mehr statt
In einem Superblock verändern sich also große Teile des öffentlichen Raums. Der Verkehr wird sicherer, Radverkehr nimmt zu, das Wohnviertel wird lebenswerter, die Anwohner verbringen wieder Zeit draußen in der Wohnstraße – das lässt sich vor allem an der Zunahme von Geschäften in den Superblocks, mehr Spielplätzen und mehr Menschen auf der Straße ablesen.
Die Umsetzung von Superblocks
Grundsätzlich kann ein Superblock in fast jeder städtischen Struktur umgesetzt werden, auch wenn die Straßen nicht, wie in Barcelona, großteils in einem geometrischen Muster angeordnet sind. Das bestätigen auch Studien von Stadtplanern wie zum Beispiel Sven Eggimann von der ETH Zürich. Damit ein Superblock funktioniert, sind einige Punkte entscheidend, erklärt die Stadtverwaltung von Barcelona - nachdem sie aus eigenen Fehlern gelernt hat:
- die Anwohner müssen schon bei der Planung eingebunden werden, eine Gruppe Befürworter und Skeptiker muss den gesamten Prozess begleiten und bei Bedarf nachjustieren
- für Anwohner müssen priorisiert Parkplätze zur Verfügung gestellt werden, Nicht-Anwohner müssen Parkgebühren zahlen
- die frei gewordenen Parkplätze und Verkehrsflächen müssen in Radwege und ggf. Busspuren umgewandelt werden Radwege
- Straßenraum muss in Flächen für die Anwohner umgenutzt werden
- an den großen Straßen am Rand des Superblocks müssen Haltestellen für den Öffentlichen Nahverkehr mit maximal 500 Meter Fußweg gut erreichbar sein
- Radwege aus den Superblock müssen außerhalb sicher weitergeführt werden
- entlang der Hauptstraßen müssen Straße, Radwege und Fußwege konsequent voneinander getrennt werden
Warum Barcelona so konsequent auf dieses Konzept setzt? Mit 1,6 Millionen Menschen ist das Stadtgebiet dicht besiedelt, auf einen Einwohner kommen nur 2,7 Quadratmeter Grünfläche - die WHO empfiehlt 9 m2 pro Kopf. Der motorisierte Verkehr der rund 5 Millionen Menschen in der Metropolregion um Barcelona nahm auch im Stadtgebiet immer stärker zu. Als Folge litt die Stadt unter einem besonders starken Wärmeinsel-Effekt: mindestens 3 Grad, teilweise bis zu 8 Grad höhere Temperaturen als im Umland waren die Folge.
Interessant ist aber nicht nur der Effekt der Superblocks auf den Verkehr, die Gesundheit der Anwohner und das Klima. Der ganzheitliche Ansatz ist ein weiterer wichtiger Faktor, warum die Superblocks bei ihren Anwohnern so beliebt sind. Denn im Superblock wird der öffentliche Raum neu genutzt. Ist Öffentlicher Raum nur dazu da, um sich in einer Stadt fortzubewegen, oder haben Bürger das Recht und den Wunsch, Kultur, Freizeit und Austausch in diesem öffentlichen Raum stattfinden zu lassen? Die aktive Teilhabe der Anwohner ist einer der bedeutendsten Faktoren beim Konzept der Superblocks.