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Mehr Power vs. Downsizing: Das E-Bike der Zukunft

Erfreuliche Sicherheit in unsicheren Zeiten: E-Bikes gehört die Zukunft. Befeuert durch die Mobilitätswende und die veränderten Alltagsbedingungen während Corona wurde aus den ohnehin schon angesagten Fahrrädern mit E-Unterstützung die absoluten Verkaufsschlager, monatelange Wartezeit auf ein neues E-Bike inklusive. Sowas kannte man bisher eher aus der Automobilbranche. Mit diesem Rückenwind arbeiten die Entwickler und Produktmanager aktuell an den E-Bikes, die in den nächsten zwei bis drei Jahren auf den Markt kommen werden. So lässt sich heute schon skizieren, wie das E-Bike der nächsten Generation aussehen, wenn man sich mit Entwicklern von E-Antrieben und E-Bike-Experten unterhält.

Klar ist: Das vor rund einem Jahr vom chinesischen Erfinder Peng Zhihui vorgestellte selbstfahrende E-Bike wird es eher nicht zur Serienreife bringen. Aber immer mehr Elektronik in Form von Connectivity, Komfort und Sicherheit wird bei den E-Bikes der nächsten Generation der große Entwicklungstreiber sein. Der Einstieg zu mehr Vernetzung und individuellen Möglichkeiten zeichnet sich schon klar ab: Bei Bosch, einer der Marktführer bei E-Bike-Antrieben, sind nicht etwa Motoren oder Akkus die wichtigsten aktuellen Produktneuheiten, sondern Connected-Biking. Was das ist? „Mit dem smarten System sind alle Komponenten des E-Bikes verbunden und können kontinuierlich per Updates-Over-The-Air aktualisiert und mit neuen Funktionen erweitert werden. Die E-Bike Flow App ist das Herzstück des smarten Systems und bietet dem E-Biker viele Zusatznutzen wie digitalen Diebstahlschutz mit E-Bike Lock, Routenvorschläge oder Aktivitätstracking. Die Features sorgen dafür, dass Menschen individueller, komfortabler und sicherer ans Ziel kommen.“ Das sagt Tamara Winograd, Leiterin Marketing und Kommunikation bei Bosch E-Bike Systems. Welche Möglichkeiten sich bieten, verschiedene technische Systeme am E-Bike, aber auch Apps zusammenzubringen und zu nutzen, lässt sich bereits erahnen. So hat Bosch in Zusammenarbeit mit dem Suspension-Hersteller Fox eSuspension vorgestellt: Das Fahrwerk passt sich automatisch dem Untergrund an. Denkbar ist laut Bosch die Integration weiterer nützlicher Features oder Dienste – was damit gemeint ist, kann man sich beim Blick auf die neuesten Entwicklungen anderer Anbieter ausmalen: Reifendruckkontrolle, ABS, Radarsystemme, die vor herannahendem Verkehr von hinten warnen. Nichts ist unmöglich. Was auch immer integriert wird, gesteuert wird das ganze beim smarten System von Bosch über eine LED-Remote in Verbindung mit der Flow App und optional dem Kiox-Display. In diese Flow App lassen sich andere Apps wie beispielsweise Apple Health einbinden. 

E-Bike von Winora

Mehr Sicherheit durch Vernetzung

Die Vernetzung unterschiedlicher elektronischer Komponenten und Apps auf einen Display am Bike, hier sehen auch andere Hersteller von E-Antrieben die größten Entwicklungsschritte der kommenden E-Bike-generation. Zum Beispiel Fabian Reuter, Geschäftsführer von Fazua: „Konnektivität und Customizing werden entscheidend bei zukünftigen E-Bikes.“ Sein Wort hat Gewicht, immerhin hat Porsche vor kurzem die bayrische Marke übernommen, wohl gerade wegen dem hohen Innovationsgrad bei Fazua. Fabian Reuter prognostiziert auch: „Das Handy wird in Zukunft die Displays der Hersteller verdrängen.“ Warum? Ganz einfach: „Kein selbst entwickeltes Display ist besser als das vom Smartphone!“

Noch interessanter als die Vernetzung verschiedener Systeme und Apps auf einem Display sind die Möglichkeiten zur Verbesserung der Fahrsicherheit, wie Tamara Winograd von Bosch skizziert: Heute ist Konnektivität noch stark mit dem Smartphone verbunden. Unsere Vision ist, dass das E-Bike selbst Teil des Internets der Dinge wird und über digitalen Datenaustausch mit anderen Verkehrsteilnehmern kommuniziert, also Bike-tot-X- Kommunikation.“ In Zukunft warnt das E-Bike also beispielsweise ein Auto, wenn es sich im toten Winkel nähert. „Der Launch des smarten Systems im vergangenen Sommer war der erste Schritt, das E-Bike zukünftig zum Teil des Internets der Dinge zu machen“, verrät die Pressesprecherin, was uns zukünftig erwarten wird – nicht nur von Bosch.

Einen weiteren Trend, der beim E-MTB in den nächsten Jahren prägend sein wird, nennt Michael Wild, Marketing-Leiter vom deutschen Shimano-Importeur Paul Lange: „Insgesamt befindet sich das E-Bike immer noch in einer sehr dynamischen Entwicklungsphase mit einer nach wie vor sehr steilen Innovationskurve. Allerdings lässt sich eine allmähliche Verschiebung von Hardware-seitigen zu Software-seitigen Innovationen feststellen.“ Bedeutet: Mit perfekter Sensorik reagieren die Antriebe zukünftig immer perfekter auf die momentanen Anforderungen und Fahrsituationen. Ein Motor, der immer sensibler auf die Fahrsituation und Fahrweise reagiert bedeutet, er fällt beim Fahren immer weniger auf.

Aufspaltung bei den Antrieben

Wo wir beim nächste großen Thema der kommenden Jahre wären: Akkus und Antriebe. Lange galt hier das Credo: Viel hilft viel. Die Antriebe wurden über die letzten Jahre immer stärker, bieten also immer mehr Drehmoment, gleichzeitig steigen die Wattstunden, also die Reichweite der Akkus. Der Status Quo bei E-Bikes: Motoren mit rund 85 Nm Drehmoment, Akkus mit mindestens 500 Wattstunden, gern auch deutlich mehr. Bosch bietet für den aktuellen Top-Antrieb optional Power aus zwei parallel betriebenen Akkus mit bis zu 1250 Wh an. Das macht Sinn für Vielfahrer, für epische Touren, und natürlich für das wachsende Segment der Cargo-Bikes. Und die mitreißende Leistung dieser starken Motoren beeindruckt zweifellos. Diese Entwicklung bedeutet aber auch: E-Bikes sind meist ganz schön schwere Brocken, selbst auf Leichtbau getrimmte E-Mountainbikes rollen mit über 20 Kilo Kampfgewicht über die Trails, die angesagten SUV-Bikes liegen gern auch mal oberhalb der 25 Kilo. Grund: Selbst der leichteste der aktuell angesagten Mittel-Motoren, Shimanos EP8, wiegt 2,6 Kilo, Bosch, Yamaha oder Brose noch ein paar hundert Gramm mehr. Dazu kommen mindestens 2,8 Kilo für den Akku. Reichweite und Power haben eben ihr Gewicht.

Fragt man die großen Player der Antriebs-Hersteller, sind die erstmal stolz auf das erreichte. Michael Wild erklärt für Shimano: „Mit unserem Flaggschiff EP8 haben wir einen Antrieb, den gerade das besonders geringe Gewicht, aber auch sehr kompakte Baumaße auszeichnen.“ Er bestätigt aber auch, wie wichtig möglichst geringes Gewicht ist. „Ein natürliches Fahrgefühl sollte eine der zentralen Eigenschaften eines E-Bikes sein. Und geringes Gewicht trägt entscheidend dazu bei, dass das Handling und die Fahreigenschaften von E-Bikes denen herkömmlicher Fahrräder möglichst nah kommen.“ Aber zugunsten des Gewichts Abstriche bei Leistung und Reichweite? Immer mehr E-Biker merken, dass sie die Reichweite ihrer üppigen Akkus im Alltag eigentlich gar nicht nutzen.

Das haben auch die Fahrrad-Hersteller erkannt und stoßen derzeit einen wachsenden Trend zu leichteren E-Bikes mit etwas weniger Leistung und geringerer Reichweite an. Diese E-Bikes kommen mit etwas kleineren und leichteren Motoren zum Beispiel von Mahle oder Fazua, verzichten auf den energiefressenden Turbo-Modus, und kommen mit abgespeckten Akkus. Die liegen mit teils deutlich unter 500 Wattstunden weit unter den gängigen Standards der ausgewachsenen Mittelmotor-E-Bikes. So wiegt selbst ein vollgefedertes E-MTB mit so einem abgespeckten Antrieb nur rund 17 Kilo.

Georg Zeppin, Fachredakteur und erfahrener Tester beim E-Bike-Magazin Elektrobike, sieht den Trend zu kleineren, kompakteren E-Bikes als eine der wesentlichen Entwicklungen der kommenden Jahre. „Dieses Downsizing geht schon allein übe den Geldbeutel: Kleine, leichte Systeme sind günstiger“, so der Experte. Schon seit Jahren setzt Fazua auf ähnliches Downsizing, der komplette Antrieb wiegt 4,3 Kilo, neben 55Nm-Motor und 250Wh-Akku sind da sämtliche Bauteile mit eingerechnet. Geschäftsführer Fabian Reuter erklärt: „Unser Hintergrund ist sportlich, das Fahrverhalten unseres Antriebs ist natürlich und reaktiv.“ Den massiven Schub der dicken Antriebe der Konkurrenz will Fazua gar nicht bieten: „Unser System reagiert auf mehr Druck vom Fahrer mit mehr Unterstützung, das Bike motiviert also ständig, mehr zu treten.“ Unlängst hat Porsche Fazua gekauft, das ist ein klares Signal, wie bedeutend der Einfluss solcher leichten E-Bikes in den nächsten Jahren wird. E-Bike-Experte Zeppin ist sich sicher: „Auch Hersteller wie Bosch und Shimano sehen diese Entwicklungen und werden leichtere Antriebe bringen.“

Fast noch entscheidender als der Antrieb ist allerdings der Akku. Die ersten Jahre begleitete das E-Bike vor allem die bange Frage: „Wie lange hält denn der Akku?“ Um dieses größte Angst der potenziellen Kundschaft zu zerstreuen, wurden und werden die Batterie-Packs wie beschrieben immer leistungsstärker, damit aber auch größer und schwerer. Stellt sich die Frage: Wann wird hier der schon lange versprochene Entwicklungsschub aus der Auto-Industrie leichtere und kleinere, aber leistungsstarke Akkus bringen? Experte Zeppin ist da skeptisch: „Neue, leichtere oder kleinere Zellen sind noch nicht marktreif. Und wenn die nächste Generation der Akkus kommt, wird das die Automotiv-Branche abgreifen, denn im Vergleich dazu ist der Bedarf und damit auch die Marktbedeutung der E-Bikes doch eher homöopathisch.“ Auch die Hersteller von E-Antrieben halten sich bei der Frage nach neuen Akku-Generationen auffällig zurück.

Die Zukunft des E-Bikes ist zweigeteilt

Wie wird das E-Bike der nächsten Generation also aussehen? Kommt darauf an: Denn E-Bikes werden sich in den nächsten Jahren in zwei Kategorien aufteilen. Die leistungs- und reichweitenstarken Bikes mit Mittelmotoren werden optional noch mehr Reichweite bieten, vor allem aber immer stärker vernetzte Systeme für viel mehr Sicherheit, Fahrkomfort und individuell anpassbaren Features. Unter der sehr passenden Bezeichnung SUV-Bikes lässt sich schon jetzt erahnen, wohin die Reise gehen wird: Mit maximaler Power, satten Reichweiten, Vollausstattung und jeder Menge High-Tech wird diese Kategorie durchstarten.

Daneben werden sich leichtere E-Bikes mit weniger Reichweite etablieren, die für den Alltag in der Stadt und ein „Fahrrad-ähnliches“, unkompliziertes Fahrgefühl stehen – und die teilweise auch zu niedrigeren Preisen zu haben sein werden als die High-Tech-Boliden.

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