Cycling & Micromobility
The Last Mile - Lösungen für die letzten Meter
Wie kommt das online bestellte Paket möglichst schnell und nachhaltig zu mir nach Hause, und wie komme ich möglichst effizient vom Bahnhof ins Büro? Wir haben mit Professor Dr.-Ing. Payam Dehdari über die Waren- und Personenströme in den Städten gesprochen.
Herr Dehdari, der Begriff „The Last Mile“ läuft einem in der Mobilitätsdebatte sehr oft über den Weg - was genau bedeutet er eigentlich?
Zuerst einmal muss man sagen, dass dieser Begriff „Letzte Meile“ sehr unpräzise ist, und er wird für zwei unterschiedliche Dinge verwendet. Einerseits für die Transportlogistik, da stammt er auch her. Gemeint ist die letzte Etappe einer Warenlieferung auf ihrem Weg zum Empfänger. Also bei Paketdiensten der Weg vom Verteilzentrum außerhalb der Stadt bis zum Empfänger in der Stadt - aber dieser Weg ist viel länger als eine Meile. Der Weg vom Paketzentrum außerhalb der Stadt bis zum Empfänger beträgt nicht selten 20 Kilometer. Ich nenne diese letzte Etappe darum auch lieber die letzte Distributionsstufe. Was man auch wissen muss: Unter dem Aspekt CO2 ist diese letzte Distributionsstufe eigentlich zu vernachlässigen, das meiste wird im Hauptlauf verursacht, also auf den langen Transportwegen, auf denen große Mengen bewegt werden.
Immer häufiger wird der Begriff „Letzte Meile“ aber auch für die Fortbewegung von Personen in der Stadt verwendet.
Richtig. Aber egal ob Waren oder Personen, es geht bei solchen Wegen eben nie um eine Meile, sondern es kommt immer drauf an. Bei Personen ist der Weg vom Zielbahnhof zur Arbeit gemeint, oder von der Wohnung zur Uni, oder von der Bushaltestelle zum Supermarkt.
Unser Stadtbild verändert sich aber derzeit deutlich mit dem Argument, dieses Problem der letzten Meile zu lösen: E-Scooter sind allgegenwärtig, und man sieht auch immer mehr Miet-Fahrräder. Welchen Beitrag leisten diese neuen Angebote denn bei der urbanen Mobilität?
Ich würde da mal polemisch sagen: E-Scooter lösen ein Problem, das es gar nicht gab. Denn die meisten Strecken, die mit einem E-Scooter zurückgelegt werden, kann man ja eigentlich laufen. Klar, ich nutze auch ganz gern mal so einen Scooter für meinen Weg zur Arbeit. Ist halt bequem. Ein Großteil der Technologie bedient ja unsere Faulheit. Wobei man fairerweise sagen muss: Für einen kurzen Weg in der Stadt ist so ein E-Scooter schneller und billiger als der Bus, zumindest in bei mir in der Stadt, in Stuttgart.
Wenn diese Scooter also keine existierenden Probleme lösen, was wäre denn ein Beitrag, um die Mobilität in den Städten zu verbessern?
Das eigentliche Problem in den Städten ist doch: täglich rollen Blechlawinen in unsere Städte, und in jedem Auto sitzen im Schnitt 1,3 Personen. Das ist so, weil die Alternativen zum Auto oft schlecht sind. Die Erkenntnis ist jetzt nicht neu, aber muss ein spitzen ÖPNV-Angebot geben, und man muss den Leuten die Möglichkeit geben, auch mit dem Fahrrad gut durch die Stadt zu fahren. Wir haben jetzt spätestens seit Corona alle ein Fahrrad, aber wir merken, dass es keinen Spaß macht, damit durch die Stadt zu fahren. Es wird besser, ist aber noch nicht gut. Wenn es vernünftige Angebote gäbe, wenn die Menschen die Wahl hätten, dann würden sie diese nutzen.
Was wären solche vernünftigen Angebote?
Ein vernünftiges Angebot wäre zum Beispiel: „Du kannst mit dem Auto in die Stadt fahren, wenn Du willst, Du kannst aber auch Fahrrad fahren. Wenn Du mit dem Fahrrad fährst, dann bist Du schneller am Ziel. Und es ist günstiger.“ Die Niederländer haben das in einigen Städten gemacht: Es gibt eine Ringstraße um die Innenstadt, über die dauert es mit dem Auto 18 Minuten von A nach B. Mit dem Rad kann man direkt in die Stadt reinfahren, so dauert es acht Minuten. Aber jeder kann sich selber entscheiden. Natürlich ist das Beispiel sehr plakativ. Aber man muss einfach mal solche Dinge umsetzen, die direkt wirken, wenn man das Ziel erreichen will, auf das wir uns alle geeinigt haben: Das Pariser Klimaabkommen. Außerdem würden die Wohnquartiere so auch lebenswerter.
Wir sehen in den Städten auch vermehrt Lastenräder und Cargobikes von Paketdiensten - sind das solche Dinge, die direkt wirken?
Lastenräder sind gut, wenn man in einem kleinen Gebiet viele Stopps mit jeweils wenig Menge hat. Aber: Man braucht – je nachdem - zirka 20 Lastenfahrräder, um ein KEP (Kurier, Express und Paketdienst)-Fahrzeug zu ersetzen. Und diese KEP-Fahrzeuge sind auch gar nicht das große Problem: Wir haben eine Studie gemacht, die zeigt, dass diese Fahrzeuge nur einen wirklich niedrigen Anteil am Gesamtverkehr in der Stadt ausmachen. Man nimmt diese Fahrzeuge im Stadtbild und im Verkehr eben sehr stark wahr, sie stehen in der zweiten Reihe, man weiß ja selbst, dass man mehr Pakete bestellt - gefühlt fluten KEP-Fahrzeuge die Stadt, die Zahlen bestätigen das aber nicht. Ich finde es grundsätzlich immer gut, wenn ein Unternehmen was tut, aber die paar Lastenräder bringen halt nicht viel, sie werden die Probleme der Paketlogistik in den Innenstädten nicht lösen.
Was würde denn was bringen?
Zum Beispiel, wenn wir die Leerfahrten verringern - aktuell sind das 37,6 Prozent aller Fahrten auf deutschem Bundesgebiet. Durch intelligente Planung könnten wir sehr viele Fahrten und damit viel CO2 einsparen. Oder wenn der Paketdienst ein nicht zustellbares Paket nicht ein paar Kilometer weiter zu einer Abholstelle fährt, sondern möglichst nah beim Empfänger. Das setzt eine gute, effiziente Planung der Paketdienstleister voraus. Und warum müssen Pakete überhaupt direkt bis zur Haustür gebracht werden? Wie wäre denn eine Sammelstelle, ein Hub in jedem Quartier, bei dem man seine Pakete abholen kann, kombiniert mit einem Parkhaus für die Anwohner des Quartiers, dort stehen dann auch Mietfahrzeuge aller Art: Autos, Lastenräder, E-Scooter. Das wäre ein Angebot, dass die Lebensqualität in den Städten insgesamt spürbar verbessern würde.
Warum wird sowas dann nicht umgesetzt?
Weil hier viele Parteien zusammenkommen müssten. Die Stadt müsste Flächen dafür zur Verfügung stellen, überall in der Stadt. Dann müssten alle Paketdienstleister ihre bestehenden Strukturen aufgeben und diese Hubs nutzen, und das ganze müsste dann noch wirtschaftlich laufen. Die Umsetzung würde Jahre dauern und das alles ohne rechtliche Bedenken der Marktverzerrung. Wir brauchen aber schnelle Lösungen.
Zum Beispiel?
Ich glaube wir brauchen disruptive Geschäftsmodelle. Warum zahlen wir für ein Paket immer 5 Euro, egal ob es von Hamburg nach München geschickt wird, oder nur von einem Stadtteil in einen anderen?
Aber es gibt doch schon viele neue Ansätze: In Schweden kann man sich schon Pakete in den Kofferraum des geparkten Autos liefern lassen, Amazon testet Drohen in Kanada, McKinsey spricht in einer Studie von Robotern, die Pakete in den Städten verteilen oder von Tunneln, durch die Pakete düsen…
Klar, man kann ich die Luft gehen oder unter die Erde, in beiden Fällen brächte das aber für die CO2-Thematik nichts. So ein Tunnel braucht erstmal ganz schön viel Beton, und das ist nicht gerade Klimafreundlich – wir haben zum unterirdischen Warentransport gerade eine Studie gemacht: Allein für das beim Tunnelbau verursachte CO2 könnte man noch Jahrzehnte mit den bestehenden KEP-Fahrzeugen weiterfahren. Und wenn ich Transportdrohne höre, da bekomme ich - wie man im Ruhrgebiet sagt - Puls. Sowohl aus Prozesssicht auch aus Umweltgesichtspunkten: Wenn etwas gegen die Schwerkraft arbeiten muss, braucht es mehr Energie. Klar kann man bei der Drohne sagen: „Ist aber elektrische Energie“ - es ist aber trotzdem Energie. Fliegen kann für hochwertige Güter zum Beispiel in der Medizin eine Lösung sein, vor allem in Mega-Cities. Aber die Transportdrohne oder Fahrerlosetransportsysteme, die durch Tunnelsysteme düsen, lösen nicht unsere CO2-Probleme.
Apropos Mega-Cities: Gibt es weltweit Entwicklungen, von denen wir lernen können?
Wir können lernen, dass die Probleme umso größer werden, je mehr Einwohner eine Stadt hat. Die Hebel für eine effizientere Mobilität sind immer gleich: Zuerst einmal muss man sauber rechnen: Was verursacht wie viel CO2, wo kann man die Planung und Effizienz verbessern. Das sind die Hebel, mit denen sich recht schnell große Einsparungen erreichen könnte. Wenn man es großflächig umsetzt, nicht nur bei Projekten mit ein paar Lastenrädern oder ein paar E-Transportern.
Was wäre denn ihr Wunsch, wie die Stadt in ein paar Jahren aussieht?
Mein Wunsch wäre, dass man die Logistik in der Stadt gar nicht wahrnimmt. Stichwort: Leise Logistik. Man könnte zum Beispiel nachts die Infrastruktur einer Stadt nutzen, da bieten sich riesige Kapazitäten, die man ganz einfach sofort nutzen könnte. Im Moment ist es so, dass wir schöne breite Straßen haben, aber 70 Prozent davon sind für fahrende und parkende Autos reserviert. Ich bin keiner, der sagt: Alle Autos müssen weg, aber die sollten Quartiersgaragen bekommen. Und dort eben auch die Packstationen. Damit würden die letzten Kilometer, also „die letzte Meile“ für die Paketdienstleister einfach wegfallen. Die Diskussion darum erinnert mich an das Verbot von Zigaretten in der Gastronomie. Am Anfang konnte es sich keiner vorstellen. Jetzt können wir es uns ohne gar nicht mehr vorstellen. Manchmal glaube ich, man muss einfach mal machen.